Lisa nahm sich vor, die Woche möglichst unbeschadet zu überstehen,
und deshalb ließ sie sich bereitwillig darauf ein, mit Aaron ins
Zimmer zu gehen. Sie nahm das Papier entgegen, das er ihr hinhielt.
Seufzend setzte sie sich an den Schreibtisch, schaute noch einmal aus
dem Fenster und holte tief Atem, bevor sie ihren Blick auf den weißen
Bogen senkte.
"Keine Angst, wir werden auch noch hinaus gehen. Es gibt hier
einen wunderschönen Park, und das Wetter ist ja auch richtig klasse."
Aaron lächelt hinter Lisas Rücken und legte in diese Worte
einen samtweichen Klang. Dann verließ er abermals das Zimmer,
wohl um die Konzentration nicht zu stören. Lisa haderte nun nicht
mehr lange, sondern verfasste einen kurzen prägnanten Text, vom
dem sie vermutete, dass Stammann ihn so haben wollte. Ihr noch brennender
Popo und der Rhythmus, der in ihrem inneren Ohr nachhallte, halfen ihr,
die richtigen Attribute diesmal vollständig aufzuführen.
Nach getaner Arbeit nahm sie das Schriftstück und schritt entschlossen
auf den Flur hinaus. Es war niemand zu sehen. Sie klopfte bangen Herzens
an des Doktors Tür. Und bange klopfte ihr Herz in stummem Dialog.
Das "Herein" kam inzwischen vertraut aus dem Raum. Lisa beeilte
sich, ihre Arbeit zu überreichen und war erstaunt, ob des wohlwollenden
Lächelns des Mannes. "Sehr schön, Lisa. Nun, ich sehe,
du kannst, wenn du willst. Nun darfst du gehen." Ohne ein Wort
verließ Lisa das Zimmer.
Aaron wartete schon in ihrem Raum. Auch er lächelte. "Du
bist ja schon fertig, Lisa. Das ist wirklich sehr brav." Lisa freute
das Lob, auch wenn es ein merkwürdiges Gefühl hinterließ.
Eigentlich wollte sie so ja nicht behandelt werden. "Soll ich dir
die Betreuungsstation zeigen?", unterbrach er ihren Gedankenstrom.
"Ja, gerne", auch Lisa wagte jetzt ein Lächeln. Wieder
nahm Aaron ihre linke Hand, und als Lisa sie ihm zu entwinden suchte,
ergriff er sie fester und sagte nur "Nein!" Dabei sah er sie
streng an. Okay, das hatte sie kapiert. Offensichtlich war auch das
eine Regel.
Aber nun begann der Rundgang, und Lisa bekam das Bad, die Küche
und die übrigen Räume gezeigt. Sie war sehr angetan von der
hellen, freundlichen Atmosphäre, die alles ausstrahlte. Warme Eleganz,
keine sterile Einrichtung. Statt Plastik viel Holz und Stoffe in warmen
Farben. Wider Erwarten spürte sie die wohltuende Wirkung der Umgebung
und entspannte sich. "Warum ist hier keiner? Wo sind die anderen?
Oder bin ich alleine hier?" "Nein, du bist nicht alleine.
Einige sind draußen, andere im Schwimmbad oder der Sauna. Zwei
dürfen ihr Zimmer nicht verlassen und müssen gleich zur Erziehung."
Lisa sah Aaron fragend an. Er schaute ihr ernst in die Augen, während
er ihre Handgelenke nahm. "Lisa, keiner ist zum Vergnügen
hier! Alle haben etwas nachzuholen. Manche lernen schnell unter dieser
konsequenten Führung. Andere müssen Extralektionen erhalten.
Ich hoffe, du gehörst zur ersten Gruppe!" "Darf ich die
anderen nicht sehen? Es ist so ruhig hier." Aaron lächelte.
"Das darfst du natürlich. Am Nachmittag habt ihr Zeit, im
Gemeinschaftsraum zu sein, in den Park zu gehen oder Ähnliches.
Allerdings nur als besondere Vergünstigung. Beim Essen seht ihr
euch meist. Und die Ruhe, na ja, ich fürchte die wird gleich vorbei
sein..." In diesem Moment klappte eine Tür. Lisa sah eine
hübsche junge Frau an der Hand eines Mannes über den Flur
gehen. Sie hatte die Lippen trotzig geschürzt und sah starr geradeaus.
Der Mann wirkte ernst. Beide gingen in das Zimmer, an dessen Tür
Erziehung stand. Aaron fing Lisas Blick auf. "Tatjana", sagt
er. "Hat eine besondere Strafe verdient." Lisa fiel die Kinnlade
herunter. "Kann... er jetzt... mit ihr machen, was er... will?"
"Natürlich nicht! Es gibt genaue Anweisungen. Es wird niemand
ernstlich verletzt. Sex ist verboten. Außerdem ist bei so einer
Bestrafung immer noch ein Zeuge dabei. Ja, und dann sind da noch die
Anordnungen des Freundes, Mannes oder manchmal auch der Ehefrau des
Zöglings, die erste Priorität haben. Was gemacht werden darf.
Wie bestraft werden soll usw." "Und bei mir? Was hat Gabriel
gesagt?" "Ich wusste, dass du das fragst, aber ich kann es
dir nicht sagen. Nur soviel: Du musst dich nicht fürchten. Er scheint
ein sehr fürsorglicher Mann zu sein... Oder - er ist noch nicht
verzweifelt genug!" Aaron grinste. "So, nun ziehe dich warm
an, wir gehen hinaus!"
Die Tür zur Erziehung öffnete sich kurz und ein Schild mit
der Aufschrift: Bitte nicht stören wurde außen angehängt.
Lisa ging in ihr Zimmer, das schräg gegenüber dieses Raumes
lag und suchte sich warme Kleidung aus dem Schrank. Als sie wieder in
den Flur trat, war Aaron nicht da. Dafür erscholl eine laute, strenge
Stimme aus besagtem Raume, auf die ein recht heftiger Patscher erfolgte.
Wie gelähmt stand Lisa da und lauschte. Die laute Stimme war stets
zu hören, das Patschen bekam einen Rhythmus, und nun mischte sich
ein weinerliches Stöhnen dazu. Lisa merkte plötzlich, dass
Aaron in warmer Kleidung neben ihr stand und sie beobachtete. Bewusst
ließ er ihr die Zeit, die sie brauchte, um zu verstehen.
Dann nahm sie von sich aus seine Hand und ließ sich aus dem Haus
führen...
Aaron hatte nicht übertrieben. Der Park war wirklich wunderschön.
Sehr alte, hohe Bäume bildete eine Allee. Rhododendren säumten
Wege. Das Laub war ordentlich an den Rändern angehäuft und
glänzte golden in der Herbstsonne.
Lisa atmete die frische, kühle Lust ein und begann zu laufen.
Den Weg entlang, auf die Allee zu und flugs in die Laubhaufen hinein.
Die duftenden Blätter stieben links und rechts auseinander, als
Lisa wie ein Schneepflug hindurchlief. Christoph kam mit Katrin an der
Hand Aaron entgegen, der mit großen Schritten Lisa folgte. "Na,
dann noch viel Spaß", sagte er grinsend zu Aaron mit einem
Kopfnicken gen Lisa. "Temperamentsbonus", erwiderte dieser
lachend und setzte ihr nach.
"LISA!", rief er nun, und dann noch einmal "LISA",
bevor sie ihn hörte. Dann aber blieb sie stehen und kam auch direkt
an seine auffordernd ausgestreckte Hand. Aaron hatte schon viele betreut,
und sie waren alle unterschiedlich. Er hatte Frauen dabei gehabt, die
ihn überhaupt nicht berührten. Er hatte welche erzogen, deren
Züchtigung ihm jedes Mal eine persönliche Genugtuung war.
Aber selten, ganz selten fühlte er das, was er nun bei Lisas strahlendem
Anblick empfand. Er konnte sie nun nicht strafen, nicht einmal ermahnen,
dass sie fortgelaufen war. Er freute sich nur an ihrer Lebensfreude,
die in diesem Gefilde - das musste er eingestehen - doch recht selten
zu Tage trat.
Verschiedene Paare waren im Park unterwegs. Immer hatte der Mann die
linke Hand der Frau in seiner rechten. Nur bei Marko war es anders.
Er hatte an je einer Hand ein Mädchen. "Das sind Alexandra
und Maike, die Zwillinge", klärte Aaron Lisa auf. Marko schien
nicht sehr erbaut von diesem Spaziergang, denn ein Zwillingsmädchen
ließ sich mehr oder weniger ziehen. Auf einer Höhe angekommen,
blieben die Männer stehen und begannen ein Gespräch. Man beschloss,
ein Stück gemeinsam zu gehen. Aaron und Marko klärten einige
Interna. Lisa ging neben Alexandra, dem nichtziehenden Zwilling. Sie
lächelten sich an.
"Warum bist du hier?" Lisa war diese Frage peinlich, sie
zögerte. "Aha, verstehe, Erziehung, was?", hakte Alexandra
nach. Lisa nickte. "Du etwa nicht? Ich dachte alle sind aus dem
gleichen Grund hier?" "Nein, wir sind einmal im Monat eine
Woche hier. Unser Vater muss dann auf Montage und gibt uns hier ab."
Lisa sah sie an. Ja, sie schienen um einiges jünger zu sein als
sie selbst.
"Wir gehen jetzt zurück, es gibt gleich Mittag. Lisa, du
gehst in dein Zimmer und machst dich frisch. Dann wartest du, bis ich
dich hole." Aaron wandte sich Lisa zu. Er nickte Marko zu, der
sich mit Maike befassen musste, da sie nicht weiterging. Lisa sah über
die Schulter zurück, als Marko eine Bank ansteuerte und Maike über
seine Knie legte. Das Geschrei Maikes verfolgte sie noch bis zum Eingang.
"Das hier draußen! Das ist ja unverschämt. Wenn da nun
jemand schaut!" Lisa war empört. Aaron musterte sie lächelnd
und sagte: "Warte nur ab!"
Lisa hatte keine Zeit mehr, ihn nach der Bedeutung seines letzten Satzes
zu fragen, da sie bereits an ihrem Zimmer angekommen waren. Wie aufgetragen
legte sie ihre warme Kleidung ab und wusch sich an dem kleinen Waschbecken
im Zimmer Hände und Gesicht. Ihr fiel auf, dass ihr Bett, welches
sie ja zerwühlt hatte, inzwischen gemacht worden war. Auf dem Kopfkissen
lag ein kurzes, weißes Hemdchen. Es war nicht ihres.
Aaron trat ein, und zusammen gingen sie den Flur entlang, bis sie in
das große Esszimmer kamen. Am Tisch saßen schon einige Frauen.
Allerdings war zwischen ihnen immer ein Stuhl frei. Trotzdem unterhielten
sie sich gelassen. Sie blickten auf als sie Lisa sahen und musterten
sie neugierig. Alexandra lächelte ihr zu. Lisa sah Marko mit Schüsseln
umherlaufen. Maike hingegen konnte sie nicht entdecken. Aaron führte
Lisa zu einem Stuhl und gebot ihr, sich zu setzen. Dann ging er und
trug mit den anderen Betreuern auf. Lisa sah Alexandra an und fragte
fast lautlos: "Wo ist Maike?" "Die ist in der Erziehung."
Alexandra zuckte bedauernd die Schultern.
Endlich stand alles auf dem Tisch. Herr Stammann kam auch und ließ
sich nieder. Neben jedem der Mädchen saß links ihr Erzieher.
Neben Stammann war ein Platz leer. Das war wohl Maikes. "Wie ihr
seht, ist jemand Neues hinzugekommen", hub Stammann an. "Das
ist Lisa. Lisa, steh bitte auf! Sag den anderen, warum du hier bist!"
Lisa wurde bleich als sie sich erhob. "Nun, Lisa?"
"Ich habe mich nicht gut benommen zu Hause, deshalb hat mein Freund
mich hierher gebracht. Ich war ziemlich unartig... ." Die letzten
Worte waren fast geflüstert. Aber die Frauen sahen Lisa verständnisvoll
an. Zu ihrer großen Überraschung standen nun die anderen
Mädchen alle der Reihe nach auf, hießen sie willkommen und
stellten sich namentlich vor. Sie hatten keine gesonderte Aufforderung
dazu bekommen. Daher nahm Lisa an, dass es sich um eine weitere Regel
handelte.
"Gut, Lisa, dann darfst du dich wieder setzen und Aaron sagen,
wovon du gerne essen möchtest!" Lisa sah Aaron an und ließ
dann ihren Blick über den Tisch gleiten. Sie sollte es ihm sagen?
Stimmt, die anderen Mädchen wandten sich ebenfalls an ihre Betreuer
und wiesen auf diese und jene Speisen. Offensichtlich durften sie nicht
alleine nehmen. "Lisa, das ist eine Übung zur Höflichkeit.
Manche Mädchen sind hier, weil sie nicht angemessen und freundlich
um etwas bitten können. Deshalb ist es hier Sitte, dass bei Tisch
um das Essen gebeten werden muss. Das gilt jetzt auch für dich,
obwohl du wegen anderer Gründe hier bist. Was möchtest du
also haben?"
Lisa entschied sich schnell und sicher. Aaron legte ihr auf. Sie beobachtete
dabei die anderen und bemühte sich, zu erkennen, wie man sich verhalten
solle. Sie sah zum Beispiel, dass alle ihre Hände im Schoß
liegen hatten und auf ein Signal zu warten schienen. Als alle Teller
gefüllt waren, durfte angefangen werden. Lisa nahm behände
ihre Serviette auf und legte sie auf ihre Knie, was ihr ein zustimmendes
Lächeln von Aaron eintrug.
"Ich sehe schon, Aaron, daran müssen Sie wohl nicht besonders
arbeiten", meine Dr. Stammann freundlich zu ihm. Erst jetzt wurde
Lisa bewusst, dass sie sehr genau beobachtet wurde und dass die Situation
eben wohl Testcharakter hatte.
Als sie eben die Gabel erhob, klappte die Tür und eine verweinte
Maike erschien. Auf ihren Wangen glänzten noch Tränen als
sie sich hinter ihren Stuhl stellte und etwas zittrig sagte: "Ich
bitte um Entschuldigung für meine Verspätung. Ich habe noch
den Popo voll bekommen müssen." Sie sah auf die Sitzfläche
des Stuhles. "Setz dich, Maike" sagte Marko, was sie auch
verkniffener Miene tat. Keiner beachtete sie besonders. Aber Lisa spürte
ein Ziehen im Bauch. Ihr tat das Mädchen sehr leid. Dennoch wandte
sich Maike jetzt an Stammann, der ihr den Teller füllte.
Die Mahlzeit verlief nun ohne weitere Zwischenfälle. Lisa bemerkte
erstaunt die relative Entspanntheit ihrer Tischgenossen. Auch Maike
hatte sich beruhigt. Sie wurde von allen anderen normal behandelt. Offenbar
war mit der Strafe das Fehlverhalten abgegolten und wurde nicht weiter
geahndet. Bei der Nachtischverteilung allerdings wurde Maike ausgelassen.
Ein Erzieher, der Karsten hieß, trug ein Tablett herein und fragte:
"Wer hat denn einen Nachtisch verdient?" Da die Stimmung inzwischen
locker war, hielt es Lisa für einen Spruch. Jedoch die Mädchen
meldeten sich größtenteils oder aber senkten den Blick. Lisa
sah Aaron fragend an, und als der ihr zunickte, meldete auch sie sich.
Eine Schüssel wurde vor sie gestellt. Lisa strahlte. Aaron sah
sie von der Seite an und musste lächeln. Er wusste, dass es ihm
schwer fallen würde, ihr wenn es nötig war, den Nachtisch
zu streichen. Allerdings fand er für sich hier ein sehr wirkungsvolles
Mittel...
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